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Leidfreie Wirklichkeit Teil II

Teisho - Zen-Meister Hinnerk Polenski
Rohatsu Sesshin Dezember 2017, Zen-Kloster Buchenberg

 

Dies ist ein Weg, dieser Weg hat drei Teile. Der erste Teil ist, einen Geschmack von leidfreier Realität, Wirklichkeit und Sein in der Sitzmeditation zu bekommen, im Zazen, im Sitzen in Kraft und Stille. Dies ist ein Weg von sieben Tagen. Deshalb gibt es Sesshin, ein Herz, ein-Tag-wie-sieben-Tage. Dieser Raum ist gut. Der zweite Aspekt ist leidfreie Wirklichkeit, Sein im Zen, im Alltag, im direkten Weg in der Welt, im Sein in unserer Welt. Dies ist ein Weg, der dauert ein Leben lang. Es wird immer Herausforderungen geben, aus denen wir herausfallen, bis wir erkennen, dass es gar kein Herausfallen gibt. Das ist eine lebenslange Herausforderung, besser: ein lebenslanger freudvoller, wunderbarer, großartiger Weg. Weil wir dann verstehen, dass das Leben wie das Leben eines Baumes ist, der einfach wächst und mit jedem Jahr und jedem Jahrzehnt schöner wird, und erst im Alter diese bezaubernde Reife einer riesigen Buche, eines riesigen Eichbaumes bekommt, um den sich Wesen sammeln, Mystik, Magie und Schatten im Sommer.

Der dritte Aspekt ist ein mehr und mehr leidfreier Weg, ein mehr und mehr leidfreies Sein von uns Menschen auf dieser Welt. Die Welt in Licht zu bringen, dies ist vielleicht ein Weg von einer Generation oder mehreren Generationen. Alle drei Wege haben etwas gemeinsam: Sie haben einen Anfang. Die Intensität dieses Weges zeitigt unterschiedliche Ergebnisse. Als erstes ist die Erfahrung unseres Seins vom Baby über Kleinkind und Jugendliche mehr und mehr die Erfahrung der Grenzen. In unserer Kultur ist es der Beweis für den Gegensatz von Körper und Geist, zumal unser Geist in einer Form erzogen wird, dass er mehr und mehr sich in einer Kunstwelt von der Wirklichkeit, von der Erde, vom Körper abkapselt, auch von Materie abkapselt. Er versucht, als Geist die Materie und die anderen Dimensionen von Geist zu steuern. Das ist unser Ideal mit dem Wort „Macht“ beschrieben, und ein kleines Gesehenwerden ist unsere Form von Erfüllung auf der Suche nach Glück. Aber das ist von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil ein in sich existierendes Ich mit seiner eigenen Ich-Welt - einer fast identischen Abbildung der Wirklichkeit - immer dann scheitert, wenn dieses Abbild nicht stimmt.

Die Welt selber, das Universum, die Einheit von Erde, Raumunendlichkeit und reinem Geist schert sich einen Dreck um unsere Erwartung. So arbeiten wir und tun wir, wenn dann draußen etwas nicht klappt, dann ziehen wir uns im Geiste zurück, wenn unser Körper dann krank ist oder wehtut, ist er ein Beweis dafür, dass am Ende doch nur der Geist und das Streben zum Geist Erlösung bringen könnte. Wie ich schon sagte, dieses ist tragisch. es ist sehr leidhaft, es ist zu Tränen leidhaft, es ist gar schrecklich. Besonders dann, wenn die Welt sich von vorneherein eine unglaubliche, bunte Glückstapete aufgezogen hat, und wir alle angehalten sind, in dieser Glückstapete zu feiern, und das doch immer weniger Menschen gelingt.

Der Ansatz ist immer zu allererst die Erfahrung in der Meditation, von hier aus kann alles andere erst beginnen. Erst wenn wir in einem geschützten vereinfachten Raum, auf einer Sitzmatte, eine Idee davon bekommen, was Wirklichkeit bedeutet, die Illusion zu durchbrechen. Wenn wir eine Idee davon bekommen, warum unendlich viele Meister des Westens, des Ostens, des Advaita Vedanta, des Yoga, des Zen in Tibet, alle lächeln, von Glück und Glückseligkeit sprechen. Was ist da gemeinsam trotz dieser unglaublichen Verschiedenheit? Im Christentum spricht man von Seligkeit. Das hat nichts damit zu tun, dass Mystiker irgendetwas erfahren, irgendetwas tun oder irgendwelche Techniken anwenden. Es ist nichts weiter, als dass der Mensch sich selbst und seine Wirklichkeit erfährt.

Der Beginn: das ist das große Geschenk des Ostens an uns, an die Menschheit - uns einen didaktischen Weg zu liefern, der immer auf der Meditationsmatte beginnt. Immer! Das andere ist sehr schwierig, das andere ist auch erst einmal ein Bezeugen. Die Totalität dieser Erfahrung ist erst einmal am leichtesten auf der Meditationsmatte im Sitzen in Kraft und Stille möglich. Die Voraussetzung dafür ist sehr einfach, von den Meistern vorgegeben, der Körper kommt in Ruhe dadurch, dass er in der rechten Haltung sitzt. Ich kann die Energie dadurch in Ruhe bringen, dass es Übungen des Atems gibt, aber auch der Körperhaltung, die das begünstigen. Der Kern ist aber der Zustand des Nicht-Denkens, die Stille. Die Stille ist die Voraussetzung.

Es gehen viele spirituelle Linien in genau diese Richtung, in einer wunderbaren Art und Weise in die Stille, sie bleiben im Geist und der Geist öffnet Erfahrung. Das sind Quantensprünge; sie sind wichtig, weil sie uns zeigen: wunderbar. Für Zazen fast unbedeutend, da Zazen immer das Ziel hat: Zen im Alltag.

Zen ist immer alles, Zen ist nicht Meditation, Zen ist das Leben selbst.

Zen ist Wirklichkeitsergründung und die große Befreiung. Aus diesem Grunde ist es so, dass wir von vornherein immer Körper, Energie und Geist als Einheit mitnehmen. Die Welt der Sinne, der Begierde und der Körperempfindung, so wie wir sie kennen, scheint erst einmal ein einziges Störfeld zu sein, ein einziges Argument gegen Befreiung, gegen Seligkeit, gegen Ewigkeit. So haben auch viele Religionen argumentiert und somit gegen die Welt, gegen die Erde. Sie haben den Dualismus soweit gespannt, dass er unerlösbar bleibt. Diese Art und Weise, den Körper zu betrachten, ist nur eine Sicht. Das Sitzen in Kraft und Stille, ohne den Körper zu bewegen, verbunden mit der Stille des Geistes, verbunden mit der stillen Harmonie unserer Lebensenergie, führt uns in die erste Versenkungsstufe, in die überraschende Erfahrung des feinstofflichen, körperlichen Seins. Eine so tiefe und wunderbare Erfahrung, so köstlich und entzückend, mit Wärme und Leichtigkeit, mit angenehmem Körperempfinden verbunden, dass wir geradezu überrascht sind. An dieser Stelle hört nie jemand mehr auf, diesen Weg zu gehen. Genauso wie es, seitdem die Erde sich um die Sonne dreht, noch nie einen Menschen gegeben hat, der den spirituellen Weg betreten und vollendet hat, enttäuscht war. Ich kenne keinen enttäuschen Heiligen. Niemanden!

Das ist ein großer Weg und der Meilenstein der ersten Versenkungsstufe, in der Stille, wenn wir unseren Körper mitnehmen, ist die wunderbare Erfahrung des feinkörperlichen Seins. Es ist das erste Mal, dass wir eine körperliche Erfahrung frei von Leiden machen. All den Scheiß, den wir entwickeln wie Alkohol - ich glaube seit es Menschen gibt, schon die Affen haben Alkoholgemüse oder Obst von vergammelte Äpfel gefressen – oder einen Joint, all diese Dinge wie Internet-Wahnsinn im bequemen Sessel, ist doch nur ein Versuch der Simulation, um in ein angenehmes Körpergefühl zu kommen, in einen Fernsehsessel. Der Versuch, in einen Moment eines angenehmen Körpergefühls zu kommen, das endet vielleicht in einem Bandscheibenvorfall, aber das interessiert keinen. Am Ende ist es nicht wirklich bequem. Man wirft uns vor, das wir - im Seiza - unbequem sitzen. Sitzen wir unbequem? Hat einer einen Bandscheibenvorfall durch Zazen? Nein, das ist ein gutes Mittel dagegen. Es gibt so viele Simulationen, man liegt auf der Liege auf Mallorca und holt sich einen Sonnenbrand, die ersten drei Stunden angenehmes Körpergefühl, und dann? Der Buddha vergleicht es mit einer Schlange, man fasst sie am Schwanz an und trinkt den Wein, man raucht den Joint, man liegt auf der Liege, verstrickt sich in irgendwelchen Wahnsinn und irgendwann beißt dann die Schlange zu, autsch!

Auf einmal ist da eine Körperempfindung die nichts braucht, weil sie unsere Wirklichkeit ist. Es ist ein nach Hause kommen. Auf einmal haben wir auch Mitgefühl mit unserem Körper, wenn wir sehen, was für eine Scheiße wir mit dem treiben. Wie sehr wir ihn wie ein ungeliebtes Kind vernachlässigen, uns dann wundern, dass er irgendwann entgleist, einfach nicht mehr kann, das verwechseln wir mit Altern.

Dieser erste Schritt von Wirklichkeitsempfinden – nämlich, die Welt hat eine grobstoffliche Dimension und eine feinkörperliche Dimension, die existieren beide - wird durch Jhana-Stufen immer weiter verfeinert. Das Entscheidende ist dieser eine Quantensprung, eben nicht nur einmal in der Meditation ein schönes Gefühl, sondern uns selber, vom Körper den ich habe, zum Leib der ich bin, in freudvollem entzückenden Sein, in Wirklichkeit zu sein. Die Jhana-Stufen, die Versenkungsstufen lehren uns, sehr fein zu unterscheiden zwischen Geistesinhalten spiritueller Art, Energiewahrnehmung spiritueller Art und der Körperwahrnehmung spiritueller Art - das letzte ist das am meisten Vernachlässigte. Deshalb haben so viele wunderbare Wege das Tor des Geistes geöffnet, was so wichtig ist, weil es der Lichtstern, das Navigationssystem ist. Die Menschen, die diesen Wegen folgen, scheitern irgendwann, sie sagen, das funktioniert irgendwie nicht, ich habe keine Zeit, ich bin gerade abgelenkt, im Moment sind andere Dinge wichtiger. Das ist die Ursache für: „Ich habe meditiert und es war sehr schön und das und das, mit dem oder jenem Lehrer, aber das mache ich jetzt nicht mehr.“ Menschen waren in irgendwelchen Ashrams, sie waren in Klöstern, sie haben Zen gemacht, sie haben tiefe und gute Erfahrungen gemacht, aber sie machen jetzt kein Zazen mehr. Sie machen jetzt kein Yoga mehr, sie machen dies und das nicht mehr. Weil dieser Punkt der Körperlichkeit fehlt.

Der erste winzige Ton auf diesem Weg zu leidfreiem Sein ist der Aspekt und die Erfahrung von körperlichem leidfreiem Sein auf der Matte. Es ist nicht ein Körper-Sein von getrenntem Körper den ich habe. Ich habe einen Körper, wenn damit irgendwas ist, dann gehe ich zum Arzt und sage: „Hier ist was, machen sie etwas.“ Sondern das Erkennen, dass wir leiblich sind und leiblich eins, dass dieses Leibliche eine wunderbare Sache ist, die nur zerstört wird durch ihre Zerstückelung und die Diktatur des Denkwahnsinns, hinter dem Unmengen von Flutwellen aus Emotionen und Bildern folgen, wenn wir dort verstrickt sind. Wir haben in diesem Wahnsinn unseren Weg verloren und auch den Sinn von Sein und Leben selbst. Beleben ist Erde. Der Buddha - in tiefer Einsicht, vollkommen frei - seine ersten Worte waren: „Die Erde ist mein Zeuge.“

Geist ist Freiheit. Energie ist Raumunendlichkeit, in der wir uns bewegen können. Eine Form davon ist Materie und Körper. Körper und Erde sind Schöpfung. Sie sind die Manifestation, sie sind der Weg selbst, sie sind das Fahrzeug. Lasst uns diesen kleinen Schritt öffnen, die Meditation beginnt mit Stille, Nicht-Denken und der richtigen, angemessenen Übung dazu. Der Beginn ist Sitzen in Kraft und Stille und in körperlichem präsentem Sein. Wir sind nicht weg, wo sollen wir denn hin? Genauso verrückt ist es zu denken, dass Gott irgendwo im Himmel ist, das Göttliche oder das Erleuchtete oder wie wir es auch nennen wollen - heiliger Geist.

Alles ist das, alles ist heiliger Geist.

So profan und so heilig, so groß und so klein.

In jedem Sandkorn ist das ganze Universum.

In unserem Körper ist das ganze Universum, die ganze Schöpfung, die ganze Liebe, der ganze Sinn.

Jetzt! Jetzt!

Dieses jetzt ist frei, ohne Gedanken, sonst ist es kein jetzt sondern gestern und morgen.

 

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