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Die dreifache Mitte des Menschen

Teisho - Zen-Meister Hinnerk Polenski

 

Ich wurde neulich gefragt, warum wir uns mit Gassho (zusammengelegte Hände vor dem Herz) begrüßen. Was das soll?

Schauen wir uns einmal an, wie wir uns in unserem Land begrüßen, Handschlag, und sagen: Guten Tag. Was ist das? Das bedeutet: Hier ist das Schwert, das ist die Schwerthand, und ich habe keine Waffe in der Hand. Das Gleiche früher auch: Guten Abend, mit Hut in der Hand - das ist eigentlich der Helm. Also es ist eine Geste der Friedfertigkeit.

Und das „gassho teito“, so nennt man das, ist ja eine Geste, die sehr verbreitet ist im Osten, und sie ist die Öffnung unseres Herzzentrums. Das ist die Verbindung von dem: "Ich bin alleine" und "alles ist verbunden", und "wir beide sind verbunden in diesem Einen". Das ist aber kein Spruch. Das ist eigentlich eine Übung.

Bevor wir jetzt hier ins Herzzentrum einsteigen, möchte ich erst einmal generell einfach über die Zentren – Kraftzentrum, Herzzentrum, Geistzentrum - in uns sprechen und die entsprechende Übung dazu – also: Wie öffne ich das? Wie nutze ich das? Das ist keine Theorie, es ist auch keine Kultur, es ist auch kein Kult, es ist auch keine Höflichkeitsgeste, sondern ganz konkret ein persönliches Training.

Dieses Training beginnt damit, dass wir erkennen, dass es bei uns Menschen ein Kraftzentrum gibt. Dieses Kraftzentrum, im Japanischen Hara genannt, und im Chinesischen Tantien, liegt direkt zwei Finger breit unter unserem Bauchnabel. Wenn wir uns gerade aufsetzen, nicht anlehnen, sondern der Rücken ist gerade, die linke Hand umfasst die rechte, und das legen wir direkt unter den Bauchnabel, so dass die Daumen auf dem Bauchnabel liegen, - dann haben wir dieses Hara. Warum ist es in der Übung wichtig, wenn wir meditieren, die Hände übereinander in verschiedenen Mudras direkt vor das Hara zu legen? Weil dieses Hara eben ein Energiezentrum ist, das aber in unserem Körper seine Quelle hat. Und in dem Moment, wie dieses Energiezentrum nicht nur Energie, sondern eine Einheit von Energie und Körper darstellt, dann beginnt dieses Hara, dieses Kraftzentrum in uns, in ganz anderer Weise zu wirken, nämlich als gestalterische Kraft, als eine Fähigkeit, selber mit Kräften umzugehen.

Man spricht in Japan von Haragei! Haragei ist die Kraft des Handelns, des Wirkens, auf den Punkt in Ausdauer wirkende Kraft. Wenn wir im Zazen, der Sitzmeditation, dieses Hara trainieren, erfahren wir, dass es in uns ein Kraftzentrum gibt, das nicht bedingt ist. Dass es hier eine Berührung gibt, eine Kraft, die unbedingt ist. Darauf komme ich gleich noch. Erstmal nehmen wir diese Kraft überhaupt wahr, und die Übung ist natürlich bedingt: Es ist das langsame Ausatmen, in dem ich dem Ausatem tiefer und tiefer folge, den Atem in den Unterbauch fließen lasse. Eine andere Übung ist, mir vorzustellen, dass mit dem Ausatem diese Kraft herunterfällt, ganz sanft, langsam. Der Schlüssel dabei ist: Je langsamer ich ausatme, je leichter ich ausatme, mehr und mehr fallen lasse, tiefer und tiefer, desto größer sammelt sich hier die Kraft. Wenn dann durch das Mudra (Handhaltung über dem Hara) oder auch durch die richtige Haltung diese Kraft körperlich verbunden wird, so dass die gespürte Energie und die erfahrene Körperwahrnehmung eine Einheit sind, dann entsteht nicht nur eine mentale Energie, sondern eine Energie, die die Einheit von Körper und Geist ist. Das ist ein anderes Wort für Wille, für Durchsetzungswillen, konsequent seinen Weg in der Welt zu gehen, geradeaus zu gehen mit Ausdauer, das ist Jin, oder fokussiert auf den Punkt ein Hindernis zu durchschlagen.

Das ist sehr sehr wichtig, denn wenn wir einen Weg gehen wollen, wenn wir einen Zen-Weg gehen wollen, ist die Kernaussage des Zen-Weges: Folge dem Heilsamen und meide das Unheilsame. Das Heilsame kennen wir vielleicht noch nicht. Auch darauf komme ich gleich nochmal, aber wir wissen immer, egal, auch wenn wir gar nichts wissen, wir wissen immer, was unheilsam ist. Und die Krux in unserem Leben ist häufig die, dass wir Dinge, die unheilsam sind, loswerden wollen, weil sie zwanghaft sind, weil sie Beziehungen zerstören, weil sie uns auf der Stelle treten lassen oder weil sie unserem Körper schwer schaden. Aber wir haben manchmal nicht die Kraft. Das Training des Hara ist also eben nicht nur ein mentales Üben von Kraft oder Energie, mit dem man irgendwas so machen kann, sondern es ist die Stärkung unserer Willenskraft, uns selbst zu besiegen.

Am Anfang brauche ich noch nicht zu wissen, wo ich hin will. Am Anfang reicht es aus zu wissen, wo ich nicht hin will, und genau diese Mitte, die dann überbleibt, ist der Weg.

„Wohin, was ist der Weg“, fragte Joshu seinen Meister Nansen.
„Der alltägliche Geist.“
„Und wie finde ich den“, fragte er weiter.
Und Nansen sagte: „Wenn du versuchst, ihn zu finden, verlierst du ihn.“
Das musst du auch nicht. Du musst ihn nicht finden, sondern du weißt, was er nicht ist.

Das Zentrum der Kraft ist also häufig eine Atemübung, manchmal auch eine rein körperliche Übung. Es ist immer ein Üben, wo ich in das Ausatmen gehe, das Ausatmen verlängere, mich mit dem Ausatem tiefer und tiefer fallen lasse, aber dazu auch andere Übungen mache, vor der Meditation, körperliche Übungen, Core-Training vielleicht, um auch das körperliche Zentrum der Kraft zu spüren, damit diese beiden Punkte zusammenkommen. Das ist eine Besonderheit des japanischen Zen, diese Verbindung der körperlichen und energetischen Kraft.

Wenn die Energie beginnt, von oben nach unten zu fließen, sich im Bauch-Becken-Raum zu sammeln, dann lösen sich im oberen Bereich Hindernisse auf. Das Kraftzentrum des Menschen ist noch nicht Wissen, wohin ich will. Das Kraftzentrum ist noch nicht Weisheit. Das erste Weisheitszentrum ist unsere Herzmitte. Wenn die Kraft im Hara geerdet ist, dann kann das Herz aufleuchten. Zazen, Meditation mit dem Ziel des Nicht-Denkens, der Freiheit, der Klarheit, Meditation ins Hara, und im Öffnen des Hara, ist immer Übung.

Herz, die Herzmitte des Menschen, ist nicht Übung, sie ist eine Intention, sie ist eine Ausrichtung. Je stärker ich geerdet bin, desto leichter ist es, dieses Herzzentrum einfach zuzulassen, zu öffnen. Dann entsteht ein warmes Feld, lichtvoll, warm, durch den ganzen Körper fließend, und erst mal hier sein Zentrum habend. Die Qualität ist Güte wie ein Sonnenmeer, Liebe wie eine Mutter zu ihrem Kind, Freude wie Frühlingssonne, und tiefes gelassenes Sein. Die Güte ist ein Feld, das ausstrahlt, die Liebe ein aktives Handeln, die Freude die Essenz des Lebens selbst, und gelassenes Sein der Weg, der weitergeht.

Hara zu üben, bis kein Gedanke mehr da ist, und bis die Kraft geerdet, im Hara, im Unterbauch ist, ist nur das Fundament, um dem größeren Sinn Raum zu geben, Raum des Herzens. Jetzt öffnet sich ein Raum. Das Gegenteil von Herz ist Enge. Unser Ego ist Enge. Nicht-Ego ist Weite. Nicht-Denken ist Weite. Weite ist Herz. Herz, auch die Liebe, ist nie Enge. Wenn die Liebe eng ist, ist sie Gier. Ist die Liebe die Liebe selbst, dann ist sie mehr als Ich. Das Herz, die Herzmitte des Menschen, die Liebe, da ist das, was uns Menschen adelt.

Aber auch hier geht es weiter, denn das Herz ist ein Tor. Es ist das Tor zur vollkommenden Befreiung. Wenn ich jetzt den Raum noch weiter öffne, soweit öffne, das auch dieses ICH, das dieses Herz empfindet, das berührt ist von Güte, von Liebe, von Weite, von Freude, noch weiter Raum hat, und dieser Raum unendlich wird, so grenzenlos wie der Himmel, dann kommen wir in die ursprüngliche Natur unseres Geistes. Dann öffnet sich durch Gnade, durch vollkommenes Loslassen, durch einen langen intensiven Weg, durch tiefe Sehnsucht, durch tiefe Intention, das dritte Zentrum, das gar kein Zentrum ist. Die Raumunendlichkeit ist etwas, was das Ich gerade so noch wahrnehmen kann, sich hineinfallen lassen kann in diese unendliche Weite und dort eine Ide bekommt, als Ich von der natürlichen Form unseres Geistes, den natürlichen Zustand unseres Geistes.

Vollendete Freiheit, das dritte, das Weisheitszentrum, ist zentrumslos, zeitlos, ohne Raum, gleißender Geist, überall gleichzeitig. Dann ist der Sprechende, dann der Hörende, ewig. Das ist der Grund, warum der Buddha sagt: Das Todlose ist gefunden. Dann ist dieser Moment, diese Sonne und dieses Motorrad, das dort fährt, und die Blätter und der Schatten und wir, die hier sitzen, in diesem Moment, in dieser Sekunde, in dieser Unmittelbarkeit, ewig, jetzt, in diesem Moment. Dann ist kein Tod mehr, kein Altern und kein Sterben. Dennoch werden wir älter, dennoch verschwindet das Geräusch des Motorrads, dennoch werden die Blätter von den Bäumen fallen. Was bedeutet das? Wieso ist dennoch jede Sekunde, jeder Moment, jeder Augenblick, ewig? Das werdet ihr mir sagen.

Wir haben noch die Möglichkeit, ein bisschen zu plauschen miteinander, und Fragen zu stellen, so...

Stephan: Es gibt in der Chakrenlehre das Kehlchakra…

Hinnerk (korrigierend): Kopfchakra…

Stephan: Wo ich selber mal die Erfahrung mache, das es auch für das Herz eine Barriere, oder ein Vorhof darstellt.

Hinnerk: Genau, ja. Also klassisch gesehen, auf dem rein spirituellen Weg, ist das Kehlkopfchakra der Flaschenhals, und kann sehr schnell zu einem Problem werden. Im Zen, und auch in der Lehre des Mahayana Buddhismus benutzt man die Chakren nur dann, wenn man in Schwierigkeiten gekommen ist, sozusagen spirituell medizinisch. (lacht) Das heißt, es ist sehr viel einfacher für uns Menschen, mit dem unteren Kraftzentrum zu arbeiten. Das untere Kraftzentrum fasst drei Chakren zusammen. Das Mittlere, die Herzmitte des Menschen, ist praktisch deckungsgleich, aber nicht identisch mit dem Herzchakra. Die drei Weisheitschakren sind wieder sozusagen in dieser Dimension des Zentrumslosen, dritten Tantien, lösen sich sozusagen auf, so. Der Unterschied zwischen Chakren und diesen Weisheitszentren und den Tantien ist, das ich durchaus die Chakren besuchen kann, erfahren kann, unabhängig von meinem Bewusstseinszustand, aber die Tantien sind immer Ausdruck von großer Befreiung und des großen Weges, so dass es schon so ist, das es in vielen spirituellen Richtungen, auch in Daishin Zen, eine Bestätigung gibt, wenn dein Herz sich vollkommen geöffnet hat, und zwar so, dass niemand da ist, und nur dieses Herz.

 

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